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Benjamin Schmid (Foto: Kumric)Als Mitte Oktober 2018 in Innsbruck das neu erbaute Haus der Musik mit seinem phänomenalen Konzertsaal den Betrieb aufnahm, gastierte Benjamin Schmid als Solist in einem Konzert mit der Akademie St. Blasius mit Ermanno Wolf-Ferraris Violinkonzert. Nur etwas mehr als vier Monate später erntete er im gleichen Saal stürmischen Applaus mit einem Auftritt, bei dem er sich zusammen mit dem Diknu Schneeberger Trio und dem französischen Stargitarristen Birelli Lagrene als im Genre des Jazz gleichermaßen kompetent beweisen konnte.

Die Kategorisierung als Grenzgänger will er allerdings nur bedingt gelten lassen. Denn »Grenzgängerei betreibe ich nur am Rand; da wo es sinnvoll erscheint, und das sind eigentlich wenige Prozent meines künstlerischen Tuns. Zum überwiegenden Teil spiele ich Klassik und etwa zwanzig Prozent Jazz, wobei ich freilich den Terminus Jazz nicht als Gralshüter auslege.«

Und zu seiner Leidenschaft für die beiden nur scheinbar unvereinbaren Pole seiner künstlerischen Existenz bekennt er: »… ich liebe pure und auch perfekte Klassik – wegen ihres musikalischen und menschlichen Inhalts – damit und dafür habe ich mein Leben verbracht und bin nach wie vor unstillbar davon infiziert. Nur verstehe ich mich eben auch auf einen zusätzlichen Musikstil, und der heißt Jazz. Den liebe ich für einige Parameter, die ich in der Klassik nicht in diesem Ausmaß erfahre: Das Hier und Jetzt, künstlerischer Input des Interpreten, andere faszinierende rhythmische und harmonische Welten, Musizieren ohne Noten, ultimative Kammermusik, musikalische Fehler als Ideenquelle … man könnte noch viel mehr darüber sagen.«

Die mehrfache Verleihung des Deutschen Schallplattenpreises in beiden Kategorien (als bisher einzigem Geiger) ist die Bestätigung, dass die Verankerung in beiden Genres ohne Qualitätseinbußen möglich ist. Das Innsbrucker Haus der Musik hat Benjamin Schmid, der mit stiller Beharrlichkeit und ungebrochener Lust und Liebe zur Musik seit Jahren seinen Weg geht, anlässlich der Eröffnung zu dieser Situation im Rahmen der Serie »Gedankenspiele« befragt:

Gedankenspiele

… zu dem klassische Konzertbetrieb
»Dass die Menschen trotz ständiger Verfügbarkeit aller Musik-Streamings immer noch ins Konzert gehen und das live Erlebnis dadurch fast noch wichtiger geworden ist, erfüllt mich mit Hoffnung für die Spezies Mensch: Denn Musik ist wie ein Berührung – und die sagt immer alles, wenn Worte nicht mehr weiter können. Musik ist also eine unmittelbare Berührung unseres Seins, unserer Empfindung, unserer ›Seele‹ oder was immer wir darunter verstehen. Dass wollen die Menschen scheinbar immer noch gemeinschaftlich und mit unseren ursprünglichen Sinnen wahrnehmen, da reicht die Konservenabfütterung eben doch nicht. Deshalb glaube ich an den Konzertbetrieb.«

… zu Improvisation und Komposition, Freiraum und Strenge
»Jede Improvisation strebt nach Gültigkeit, im Idealfall steht sie als Komposition da. Jede Komposition hat einen improvisatorischen Ursprung und behält in guten Interpretationen so viel wie möglich von dieser improvisatorischen Situation. Freiraum und Strenge bedingen einander – wo kein Rahmen, gibt es eher Chaos als Freiheit. Und Strenge kann nur im Wechselspiel mit Gelöstheit existieren. In der Musik ist das noch klarer als im restlichen Leben. Stravinsky sagte: je klarer der Rahmen desto größer die Freiheit und die Ideen.«

… zu dem Verlust von Improvisation
»Ich wiederhole mantra-artig: Improvisation wird in der musikalischen Erziehung nicht berücksichtigt. Dabei ist es geradezu absurd, immer nur nach Noten zu spielen und keine eigenen Töne, wenigstens hin und wieder und auch gern nur für sich selbst. Es muss nicht jeder auf der Bühne improvisieren, aber ein musikalisches Leben wird sehr viel reicher über einen Zugang zum ›In-sich-Hineinhören‹. Ich versuche jeden Tag etwa 15 Minuten ›absichtslos‹ zu improvisieren, um meiner unbewussten und bewussten Seele auf die Spur zu kommen; das ist höchst vergnügliche Selbsttherapie.«

… zu Konzerten – Genres – Zugaben
»Jazzer hören sehr gerne Komponiertes, als Abwechslung. Aber eben vor allem, wenn man es so spielt als sei es gerade erst erfunden. Noch frappanter empfinde ich aber immer das gemeinsame Real-Time-Erlebnis einer kleineren oder größeren Improvisation, wenn zuvor nur ›Vorbereitetes‹, sprich Noten, gespielt wurden. Vielleicht sogar sehr gut gespielt wurden, aber eine gut improvisierte Note hat immer noch eine andere – das ist keine Wertung! – Aura als die bestgespielte notierte Note. … Wenn uns die Gegenwart packt, werden wir zu lebendigen Menschen. Wenn die Planungen nicht mehr existieren. Wenn man den Moment entscheiden lässt. Und die Improvisation ist eben doch noch mehr im Hier und Jetzt verwurzelt.«

… zu Konzertritualen
»Das gängige Konzertritual ist lange gewachsen und hat wie jede Tradition gute und weniger gute Seiten. Dass man sich auf eine konzentrierte Form des Hörens einigt, finde ich schon als großartig – wo sonst lassen Menschen so viel Stille zwischen der Musik zu? Wenn allerdings jemand nach dem ersten Satz klatschen will so stört mich das gar nicht – angeblich hat man auch bei der Erstaufführung in Wien von Brahms’ Violinkonzert nach der Kadenz hineingeklatscht, das gibt’s also nicht erst seit dem Jazz. Aber dass sich Rezeptionsformen mit der Zeit auch ändern können und sollen, (z. B. Frack ist wirklich kein Muss mehr) ist klar und wünschenswert.«

… zum Klassik- und Jazzpublikum
»Letzten Endes ist das Empfinden sehr ähnlich: das Publikum will etwas Besonderes erleben, und ist erfreulich offen für die Art der Besonderheit – allen anderen Unterschieden (Kleidung, Sitzhaltung, usw.) stehe ich relativ leidenschaftslos gegenüber. Meine einzige (innere) Frage am Anfang eines Konzerts beim Verbeugen an das Publikum ist: Seid ihr, sind wir bereit für das Besondere?«

 

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