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Umbruch und Zukunftsvisionen der Königsdisziplin Streichquartett

Hagen Quartett mit
Lukas Hagen und Rainer Schmidt (Violine)
Veronika Hagen (Viola)
Clemens Hagen (Violoncello)

Ludwig van Beethoven (1770-1827)
– Streichquartett Nr. 8 e-Moll op. 59/2 »Rasumofsky«
– Streichquartett Nr. 13 B-Dur op. 130 mit Großer Fuge op. 133

 

Ludwig van Beethovens 1806 geschriebenen Quartette op. 59 entstanden im Auftrag des russischen Botschafters in Wien, Fürst Andrej Rasumovsky, eines Kunstfreundes und Mäzens, an den heute noch eine Straße und ein Palais in 3. Bezirk erinnern. Alle drei Werke, zyklisch angelegt, sind geprägt von fortschreitender Auseinandersetzung mit Form und Inhalt der Gattung und stellen größere Anforderungen an die Virtuosität der Ausführenden als die früheren Arbeiten des Komponisten in der »Königsdisziplin der Kammermusik«. Das 2. Quartett in e-Moll beginnt mit einem düsteren Allegro, welches schon auf das Quartett op. 95 verweist. Schattenhafte, melodisch verhangene Stimmung herrscht vor. Die Klangsprache ist sehr nach innen gerichtet, erzählt von seelischen Grenzsituationen und depressiven Perioden. Das folgende Molto Adagio besinnt sich auf hellere Dimensionen, das Hauptthema erinnert an einen Choral. Hat Beethoven Trost in der Religion gesucht? Wir können es nur vermuten. Im dritten Satz, einem scherzoartigen, flinken, rhythmisch präzisen Allegretto, bezaubert im Trio ein schlichtes russisches Volkslied, eine Geste an den Auftraggeber. Meisterhaft, wie Beethoven das einfache Thema kontrapunktisch verarbeitet und zu einer brillanten Fuge umwandelt. Der auftrumpfende, stampfende Tanz im Finalsatz erinnert an die in dieser Zeit entstandene 7 Symphonie. Mit unbändiger Kraft, die aber immer kompositorisch grandios gebändigt ist, feiert der Komponist hier eine Art Auferstehung aus der unbestimmten Traurigkeit des Beginns.

Beethovens 13. Streichquartett in B-Dur op. 130 ist ein Auftragswerk für St. Petersburg – besser gesagt für den russischen Fürsten Nikolai Borissowitsch Golizyn, der von 1802 bis 1806 in Wien gelebt hatte, Beethoven kannte und zutiefst verehrte und ein begeisterter Cellist war. Das Stück gehört zu jenen »späten Quartetten«, die bis heute zu den Kronjuwelen der abendländischen Musik zählen und in ihrer zeitlosen Modernität immer noch Interpreten und Publikum herausfordern. Doch inmitten des sechssätzigen Werks gibt es einen Satz, den fünften, der bereits während der Uraufführungs-Proben im Jänner 1826 den legendären Primarius Ignaz Schuppanzigh dazu veranlasste, Beethoven zu bitten, daran ja nichts mehr zu ändern. Diese Cavatina sei nämlich im Gegensatz zum Rest leichter und verständlicher. Damals war noch die »Große Fuge« als Finalsatz gedacht. Leicht zu spielen ist allerdings die Cavatina ganz und gar nicht, sie erschließt sich nur dank ihres lyrischen Ausdrucks leichter. Die erste Violine bleibt den ganzen Satz über im Tonumfang der menschlichen Stimme und so macht der Satz seinem Namen alle Ehre. Denn eine Cavatine ist jene zweiteilige Form der italienischen Opernarie, die dem Lied am nächsten kommt und vor allem dem innigen Ausdruck der Liebe gilt.

Das Hauptthema des ersten Satzes ist der vierten Fuge aus dem ersten Band von Bachs »Wohltemperiertem Klavier« ähnlich. Seine immense Spannung besitzt dieser »unvollkommene« Sonatesatz aus der Tatsache, dass das Allegro nicht weniger als fünfzehn Mal vom Adagio der Einleitung unterbrochen wird. Im Presto, einem Scherzosatz, beweist Beethoven wieder einmal, wie er aus einem wahren Gassenhauer-Thema große Kunst machen kann. Der dritte Satz, Andante, verwirrte die Zeitgenossen Beethovens durch seine kühne und kontrastreich verschlungene Stimmführung, vom Komponisten selbst als »neue Art« bezeichnet und vom zweiten Geiger der Uraufführung, Karl Holz, als »durchbrochener Stil«. Melancholie und Laune verdichten sich am Ende zu gelöster Heiterkeit. Die volkstümliche Walzerstimmung des vierten Satzes wird durch nervöse Dynamik, überraschende Crescendi und die nur wie dazu gezwungen in eine Idylle findende Coda ständig in Frage gestellt. Auf die wundersame Cavatina folgt als sechster Satz das die »Große Fuge« ersetzende Rondo-Finale, welches auf einem eingängigen, folkloristischen Thema beruht, das mit größter Kunstfertigkeit und vielen harmonischen Überraschungen verarbeitet wird.
Das Fugen-Finale gewaltigen Ausmaßes ersetzte Beethoven nach den verständnislosen Reaktionen des Publikums bei der Wiener Uraufführung am 21. März 1826 auf Drängen des Verlegers Artaria. »Den Sinn des fugirten Finale« wagte der damalige Rezensent »nicht zu deuten«, für ihn war es »unverständlich, wie Chinesisch.« So wurde der Finalsatz als Große Fuge aus dem Quartett herausgelöst, dem Schüler Erzherzog Rudolph von Österreich gewidmet, im Mai 1827, also bereits postum, gedruckt und gilt als letztes vollendetes Werk Beethovens. Der Neuerer Beethoven hat keine kompromisslosere und strengere, keine wagemutigere und »modernere« Musik geschrieben als diese. Das Stück sprengt alle Konventionen der Zeit und weist weit voraus ins 20. Jahrhundert. Schärfen und Dissonanzen sind bewusst eingesetzt, alle romantische Poesie scheint fern, dennoch wird das tonale Gefüge nie verlassen. Das Streichquartett-Prinzip von der laut Goethe »gebildeten Unterhaltung« von vier Stimmen wird auf die Spitze getrieben, eigentlich nicht mit einer einzelnen Fuge, sondern mit einer Verkettung unaufhörlich sich wiederholender und aneinander gereihter Fugenthemen, wodurch ein in sich kreisender sublimierter Tanz entsteht, der Entwicklungen bis hin zur »Minimal Music« nahezu vorweg nimmt. »Ebenso frei wie kunstvoll« wollte der Komponist dieses Meisterstück der Satztechnik gespielt und verstanden wissen – also nicht nur als kontrapunktisches Experiment, sonder auch als gleichsam »reine«, aller Schnörkel entkleidete Musik. Wer sich ihr konzentriert hingibt, der kann in klaren Räumen meditieren.

Gottfried Franz Kasparek


Hagen Quartett

Lukas Hagen und Rainer Schmidt (Violine), Veronika Hagen (Viola), Clemens Hagen (Violoncello) Nach Konzerten der »vier Weltklassestreicher aus Salzburg« (Hamburger Abendblatt) herrscht »nahezu minutenlang absolute Stille im Bewusstsein, Außergewöhnliches erlebt zu haben«. So beschreibt es die Presse. Gemein ist allen…

 

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